Wie oben, so unten

oder, warum sich Naturwissenschaft und Astrologie nicht widersprechen

Über diesen alten, hermetischen Grundsatz können wir uns der zentralen Idee der Astrologie nähern. Das Wort hermetisch stammt aus der Geheimlehre der sagenhaften, altägyptischen Gottheit Hermes Trismegistos. Genauso wie im Vater-Unser in der Zeile „wie im Himmel, so auf Erden“ wird hier eine Parallele zwischen den Bewegungen der Gestirne und dem weltlichen Lauf hergestellt. Gemeint ist hier allerdings keine Kausalität, also keine Beziehung, die auf Ursache und Wirkung beruht, sondern eine Analogie, was sich im „so wie“ ausdrückt. Das Verbindende in der hermetischen Lehre meint eben kein Vorher, dem ein funktionales Nachher folgt, vielmehr geht es hier um Simultanität, also Gleichzeitigkeit.

Himmel und Erde spiegeln sich ineinander und entsprechen dabei einer gemeinsamen Ordnung der Zeit. Diese nennt man Zeitqualität.

Indem der Astrologe die zeitliche Situation unseres Planetensystems betrachtet, gestattet die übergeordnete, verbindende Zeitqualität, die Phänomene oben am Firmament mit denen hier unten zu vergleichen und qualitativ zu deuten. Die Naturwissenschaft hingegen kann nur Aussagen über quantitative Messwerte machen.

Dies muss zunächst dem modernen, sich aufgeklärt denkenden Zeitgenossen seltsam und absurd vorkommen. Ein möglicher Einwand könnte z.B. der sein, dass es doch durch die Entfernung zeitliche Verschiebungen geben müsste. Dies verkennt jedoch die Gleichzeitigkeit für den Betrachter. Diese findet simultan auf der Ebene der Gestirne wie auf der des Irdischen statt. Ich sehe das Gleiche oben wie unten,- jetzt.

Wir haben es bei dieser Lehre nicht mit rationalen, also abstrahierten Objekten zu tun, die als voneinander getrennte Dinge gedacht sind, vielmehr ist die Grundannahme der Astrologie radikal standortbezogen und damit gültig nur in Bezug auf die subjektive Wahrnehmung. In der Astrologie, die ihren Anspruch ernst nimmt und nicht modisch verwässert wurde, wird die Subjekt-Objekt-Trennung überwunden, indem das Wirkliche und Verbindende die Wahrnehmung selbst ist. Es gibt keine Wahrnehmung ohne einen Wahrnehmenden und auch nicht ohne ein Wahrgenommenes. Dass diese beiden Elemente von einander unabhängig existieren, ist eine Hypothese, die nie auch nur ansatzweise bewiesen wurde.

Die Naturwissenschaft versuchte jedoch die radikale Objektivität, also den Ausschluss alles Subjektiven, zum Prinzip der Forschung zu machen. Sie hat sich in dieser Sichtweise allerdings durch die Quantenphysik längst widerlegt. (Dies nur am Rande für diejenigen, die sich bereits tiefer mit der Materie befassen)

Eine befragte Situation erscheint für mich subjektiv in dieser Weise und Konstellation. Die Zeitqualität bezieht sich auf den Blickpunkt des Beobachters. Um dies in einem Beispiel zu demonstrieren: Angenommen es steht der Mars, der das Prinzip des Männlichen symbolisiert im Verhältnis zur Venus, des weiblichen Prinzips, in einem starken Spannungsverhältnis. Dies entspricht eben dem Spannungsverhältnis der fragenden Person z.B. in einer Partnerbeziehung, in der viel gestritten wird. Nicht weil der Mars derart zur Venus steht gibt es Streit, vielmehr entsprechen diese Phänomene Mars/Venus und Streit der zeitlichen Ordnung. Es ist das Gleiche auf unterschiedlichen Bezugsebenen. Was wir im Himmel auf symbolischer Ebene sehen, läuft simultan auf der irdischen ab.

Zunächst ist die Idee der Zeitqualität und der Symbolhaftigkeit aller Vorgänge und Dinge ungewohnt. Aber schon der alte Goethe wusste: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ Und damit bringt er es auf den entscheidenden Punkt.

Da der Bezugsrahmen des Vergleichs kein kausaler ist, gibt es auch keine mechanische Wirkung, die wissenschaftlich messbar und verifizierbar wäre, denn die Naturwissenschaft arbeitet ausschließlich mit Getrenntheit von Ursache und Wirkung. Ein Analogieverhältnis dagegen ist eines der Ähnlichkeit der Bilder und Symbole, die sich sehr unterschiedlich realisieren, je nach Ebene, die zur Betrachtung kommt. So kann die oben erwähnte Spannung vielleicht als ein Verbalstreit auftreten, oder es könnte zu einer Verbrennung oder Hautverletzung kommen, zu einem Grenzübertritt oder auch zu einer heftigen sexuellen Entladung. Wie sich eine Zeitqualität auf unserer Erfahrungsebene ereignet kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Aber was die eingetretene Situation bedeutet, d.h. warum ein Ereignis stattfindet, kann in der Deutung der zeitgleichen Konstellationen verständlich werden. Jede Lage, jeder Vorgang ist bedeutsam und trägt eine Sinngestalt.

Die Ordnung der Welt und die Ordnung des Kosmos sind eins. Um ein Weiteres zu nennen, könnte ich zur gegebenen Zeit auch in ein Mikroskop schauen und auch dies Geschehen ließe sich im Sinne der Zeitqualität deuten. Wir haben es also hier nicht mit der Wie-Frage zu tun, die die Wirkung verschiedener Dinge aufeinander untersucht, vielmehr stellt die Astrologie die Warum-Frage, die den Sinn und die Bedeutung eines Vorgangs beleuchtet.

Es geht im Unterschied von Wissenschaft und Astrologie nicht um ein Entweder-Oder. Es geht nicht um die Entscheidung, entweder der Messbarkeit und Kausallogik oder der astrologischen Deutung das Wort zu sprechen. Klug und weise wäre, wie so oft, ein Sowohl-als-auch. Die Verwirrung liegt darin nicht zu erkennen, dass es sich um ganz verschiedene Fragestellungen handelt, die sich jedoch durchaus ergänzen können. Ersteres fragt danach, wie ich von A nach B komme, Zweiteres fragt nach dem, warum ich nach B will und ob dies möglicherweise gar nicht gut für mich ist. Wie im Fall der Unterscheidung der Welle- und Teilcheneigenschaft beim Licht sehen wir, es handelt sich um keinen Dualismus, der einen Widerspruch darstellt, sondern um eine Komplementarität. Es ist beides gleichzeitig in einer wechselseitigen Bedingtheit, die man aber nicht gleichzeitig sehen kann. Aber mit Hilfe der neueren Physik kann man erkennen, wie diese beiden Aspekte sich sogar sinnvoll ergänzen können. Die Bedeutung entspricht dem Geistigen, wogegen das Funktionieren dem physischen Aspekt zugehörig ist. Es sollte allerdings bemerkt werden, dass es das eine ohne das andere wie bei Jin und Yang nicht geben kann.

Da die letzten Jahrhunderte so exzessiv unter der Vorherrschaft der berechnenden Funktionalität des Verstandes gestanden haben, und jede andere Fragestellung als unwissenschaftlich abgetan und diffamiert wurde, wird es Zeit, dem Warum wieder zu seinem notwendigen Recht im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verhelfen. Denn andernfalls werden wir uns in einer Welt zunehmender Sinnentleertheit (Stichwort: Nihilismus) schließlich selbst eliminieren. Die Warum-Frage weist den Menschen als metaphysisches Wesen aus. Wird sie nicht mehr gestellt, ist der Mensch zum Roboter geworden und damit tot.