Indem wir glauben, der Körper sei ein bloßer, aus Materieteilchen aufgebauter und damit bewußtloser Mechanismus, schneiden wir uns von der Quelle des Lebens ab. Denn die Leiblichkeit1 ist weder dumm noch primär funktional.
In der westlichen Kultur herrscht das durchgesetzte Dogma, alles sei letztlich bloße Materie und damit geistlos. Wie es aber zu Bewußtsein kommt, die als Ich-Bewußtsein eines jeden Menschen doch offensichtlich existiert, wird in der Hirnforschung als „the hard problem of conciousness“, also dem schwierigen Problem des Bewußtseins benannt?
Ist Bewußtsein ein eigentlich überflüssiges, ja zufälliges „Beiprodukt“ neurochemischer Vorgänge? Das anzunehmen ist, meiner Ansicht nach, völlig absurd. Die Sache wird aber dann einfacher und klarer, geht man davon aus, dass Materie und Geist gar nicht voneinander geschieden sind. Die Grundannahme lautet: Geist und Materie (im Englischen gibt es hierfür den sinnvollen Begriff des body-mind) sind gleichermaßen Aktivitäten des (kosmischen/göttlichen) Bewußtseins. Einerseits entfaltet sich Bewußtsein, das selbst zeit- und ortlos ist, in der Zeit als materielle Erscheinungen und andererseits und gleichzeitig als Wahrnehmen und Denken, als Reflektion dessen. Die Essenz von allem ist demnach nicht Materie sondern Bewußtsein. Folgen wir in dieser Sicht den uralten Weisheiten der indischen Überlieferungen der Veden, so löst sich das „harte Problem“ von selbst auf.2
Dies meint, dass Körper und Geist kein Entweder-oder sondern ein Sowohl-als-auch im Bewußtsein sind. Es ist nur eine Frage der Draufsicht. Aber wir sind meist geneigt den eigenen Körper wie einen Fremdkörper zu sehen und, schlimmer noch, auch so zu behandeln. Solange wir meinen, der Körper sei eine geistlose Maschine, die nur richtig eingestellt werden müsste, schneiden wir uns von der Möglichkeit einer fruchtbaren Beziehung und Einheit mit der Leiblichkeit und damit zur Welt ab.
Lausche deinem Körper. Diese Kommunikation verläuft aber nicht, wie man naiv vermuten könnte, auf sprachlich-begrifflicher Ebene, sie liegt viel mehr auf der Gefühlsebene, im Spürbewußtsein3 und wird erst später im Verstand versprachlicht. Aber unsere Gesellschaft trainiert schon die Kleinsten ihre Gefühle beherrschen, kontrollieren und steuern zu müssen, anstatt auf sie hinzuhören. Es werden Gefühle und Empfindungen beurteilt in gut und schlecht, um die einen zu stärken und die anderen unterdrücken zu können. Dies kann grundsätzlich nicht gelingen und führt letztlich zur neurotischen Verdrängung, Selbstverleugnung und Frustration. Die Neigung zur Kontrolle kommt aus der menschlichen Angst vor Hilflosigkeit, und so will man die Dinge im Griff haben.
Viele Menschen sind heutzutage sehr verwirrt und suchen in Theorien und Erklärungen Orientierung, merken aber oft gar nicht, dass die Verwirrung dabei nur noch zunimmt. Aber jeder kennt das andere: woher kommt die oft plötzliche Gewißheit, Stimmigkeit oder Klarheit in einer gegebenen Situation? Warum entscheiden wir letztlich so oft aus „dem Bauchgefühl“, wenn lange Erwägungen ohne Ergebnis blieben? Kommt doch dies in erster Linie aus einem Gefühl, aus einem Spüren des Inneren. Und wie oft liegt die intuitive Wahrnehmung sehr richtig. Wird aber dieses Spüren unterdrückt, so fühlt man sich getrennt und mehr und mehr isoliert und verwirrt in der unendlichen Vielzahl von theoretischen Möglichkeiten.
Warum ist das so? Was ist diese unterbewußte Intelligenz?
Der Körper ist kein isolierter Gegenstand, sondern vielmehr ein seismografisches Beziehungsmuster, eine subtile Schwingung, die aus Außen und Innen gleichermaßen besteht. Wie bei der Musik: die Schallwellen sind zunächst etwas Äußeres, aber erst in Verbindung mit dem Körper geht etwas in Resonanz wodurch Klang und Empfindung entsteht. Tiefe Emotionen und Einsichten können dadurch aufsteigen. Ohne die Körperresonanz (besonders des Trommelfells und Bauchbereichs) ist da kein Klang.
Das Wahrgenommene und der Wahrnehmende sind wie die Innen- und Außenseite einer Hand. Wir tun zwar immer so, als seien wir von allem anderen im Außen getrennt, aber auf einer tieferen Ebene des Erkennens zeigt sich nicht nur die prinzipielle wechselseitige Bedingtheit sondern die Einheit, die sich in sich selbst spiegelt. Man kann die Handinnenseite von der Außenseite nicht trennen.
Gedanken, Gefühle, Emotionen, Wahrnehmungen, Intuitionen und Einfälle, all dies sind verschiedene Äußerungen des einen ungetrennten bewußten Seins. Wenn ich sehe, so sehe ich, weil meine Augen in einer bestimmten Frequenz mit einem Objekt resonieren. Hören ist ein anderer Frequenzausschnitt und weiter das Fühlen und Denken. Aus der unendlichen Möglichkeit des „Quantenfeldes“, wie ein moderner Physiker sagen würde, treffen die Sinne durch ihre Eigenart eine Auswahl, wodurch ein „Etwas“ gesehen wird. Sehen kann man nur im Sehspektrum des Auges, hören im Frequenzbereich des Ohres, Spüren nur im Bereich der sensorischen Nerven usw. Nur ohne diese sinnliche Resonanz blieben die Frequenzwellen rein potentiell. Der Körper als Resonanzkörper hat somit eine Filterfunktion, er ist, indem er in Resonanz ist. Die Totalität aller Möglichkeiten wird durch sinnliche Filterung zur erscheinenden Welt. Wenn wir etwas sehen, so sehen wir dies aufgrund der Eigenschaft dieser Augen,- der Fledermaus erscheint die Welt ganz anders. Deutlicher: die Fledermauswelt ist eine andere!
Aber auch der Körper ist nichts anderes als ein in bestimmter Weise schwingendes Bewußtsein oder auch Gewahrsein. Nur schwingt er nicht nur auf der Ebene der Gedanken
Aber ganz offensichtlich scheint unser Denken recht begrenzt zu sein, denn mehr als einem Gedanken zu folgen ist meist verwirrend. Der Körper dagegen ist in der Lage enorm viele und komplexe Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, Herzschlag, Atmung, Stoffwechsel, Hormonsteuerung etc. und gleichzeitig sich mit jemandem zu unterhalten ohne sich um all dies kümmern zu müssen. So ist es nicht abwegig anzunehmen, dass der Körper insgesamt weit intelligenter ist als unser Verstand.
In meiner Praxis erleben ich häufig, wie sehr die Menschen ihr Gewahrsein auf die Denkvorgänge beschränken und daher ab dem Hals abwärts wie abgeschnitten sind. Der Körper wird oft nur wahrgenommen, wenn Störungen da sind. Alle anderen Äußerungen werden verdrängt, übersehen und unterdrückt.
In Wirklichkeit gibt es nur Beziehung: auf der einen Seite der Polarität steht das Ich im Sinne von bodymind und auf der anderen Seite die Welt. Das eine ist nur, weil auch das andere ist.
Dem Körper zu lauschen ist also eine Aufforderung die ungeheuren Möglichkeiten in Beziehung zu treten wahrzunehmen und ins Erleben zu lassen. Genau darauf kommt es für die Existenzform an, dafür ist sie geschaffen: für das bewußte Erleben der Möglichkeiten des Seins durch das Medium des Körpers. Und das ist nicht nur eine Frage von Krankheit und Gesundheit, es ist vielmehr wichtig um innig im Erleben zu sein, wodurch Erfüllung geschieht. Je tiefer alle Gefühle, die angenehmen wie die unangenehmen, wahrgenommen werden, je umfangreicher die sinnlichen Eindrücke, je bewußter die Gedanken gesehen werden, um so intensiver und reicher ist das Leben in seinem Sosein. Es kommt nicht primär darauf an im Leben etwas zu erreichen, etwas zu werden. All dies ist relativ im Kommen und Gehen des Zeitlichen. Das Leben ist um seiner selbst Willen da. Das Leben ist eine Selbstzweck. Es lebt um zu leben. Das Leben ist eben keine Funktion der Materie.
Das schöpferische Bewußtsein erlebt sich im Leben selbst und wird so zu Selbst-Bewußtsein.
In seinen Körper zu lauschen ist als lauschen man ins Weltall, als lausche man dem Willen des Seins, denn beides, das All, wie der Körper sind genauso, nur in anderer Weise, die Äußerung göttlicher Weisheit. Deshalb ist es so wichtig dem, womit der Mensch am engsten Verbunden ist, mit seinem Körper, in bewußtem Gewahrsein zu sein.
Das „Wie“ erscheint nun fast überflüssig zu beschreiben, ist aber dennoch meist ein Problem, wenn man lange Zeit das Leibliche übersehen und unterdrückt hat:
Man lasse die Aufmerksamkeit langsam aus dem gewohnten Sitz hinter den Augen absinken. Zuerst lege man die bewußte Wahrnehmung auf den Atem, ohne diesen zu verändern. Einfach nur spüren, wie der Luftstrom kommt und geht, wie der Brustraum sich füllt und leert, wie die Bauchdecke sich hebt und senkt. Eigentlich ist das schon alles.
Natürlich kann diese Übung erweitert werden, aber man mache sich bewußt hier schon da zu sein, angekommen im Jetzt körperlicher Gegenwart. Und nun werde man ganz still im Lauschen. Gedanken sollen dabei nicht unterdrückt werden, nur folgen sollte man ihnen möglichst nicht. Auch sollte man alle Begriffe und Bilder des Körperlichen fallenlassen, um nur das zu spüren, was eben jetzt zu spüren ist. Und: strenge dich nicht an, denn das verhindert einfach das zu sehen, was jetzt ist. Das Gewahrsein ist unveränderlich gewahr bei der ständigen Veränderlichkeit des Wahrgenommenen. Alles ist aufgenommen in diesem Gewahren. Und man achte darauf, sich mit dem Gespürten nicht zu identifizieren, denn sonst entsteht unwillkürlich erneut die duale Trennung zwischen innen und außen. Die Gefühle und Empfindungen sind genauso zu betrachten wie das Zwitscher eines Vogels oder das Brummen der Autobahn. Es ist, was es ist, ohne Bedeutung, ohne Urteil und Bewertung.
Und so wächst eine extrem einfache Möglichkeit orientiert zu sein.
Sich darauf einzulassen bedeutet schrittweise Gefühle und Gedanken von Fremdheit abzubauen. Fremdheit zur Welt und Anderen und Fremdheit zu sich selbst. Geborgenheit im Sein, Identität mit der Vollkommenheit des Seins,- das Bewußtsein selbst zu sein ist das, was man Erleuchtung, Erlösung oder Befreiung nennen kann.
Lausche deinem Körper – der Körper ist ein unendliches Mysterium!
1 Ein Wort das leider aus der Mode gekommen ist. Leib kommt vom mittelalterlich Lieb und heißt Leben. ↩
2 An dieser Stelle kann ich dazu nur eine Andeutung machen. ↩
3 Diesen Begriff habe ich vom Psychotherapeuten Peter Schellenbaum übernommen. ↩