Fragen

Warum ist die Frage grundlegend wichtiger als die Antwort?

Die Frage öffnet den Raum der Leere. Denn soweit es eine echte Frage, eine die wesentlichen Inhalts ist und nicht nur eine z.B. rhetorische, weist sie auf das Nichtwissen, das die Leere ist.
Die Frage stößt an, bringt etwas in Bewegung, wogegen die Antwort meist eine Fest-stellung bedeutet. Jede Antwort entwirft eine Erklärung, meist ohne dessen gewahr zu sein, dass sie nur eine Möglichkeit unter vielen ist. Denn mit der Blickrichtung ändert sich auch die Sicht und damit der erklärende Zusammenhang.

Wir neigen dazu, auf Antworten fixiert zu sein, denn sie geben uns Handhabe. Sie ermächtigt zum Fassen und Handeln, denn nun weiß man, womit man es zu tun hat.
Aber, ist es nicht viel wichtiger, falls es nicht nur um eine rein praktische Frage geht, sie als solche gründlich zu betrachten? Woher kommt sie? Welcher Gedanken- und Überzeugungskontext liegt dieser Frage zugrunde? Vielleicht zeigt sich in ihr schon ein prinzipielles Missverständnis – eine Verwirrung?…

In der Beratungspraxis sehe ich sehr häufig, dass wenn man eine Frage erst in ihrer Fragwürdigkeit betrachtet, sich eine Antwort bald erübrigen kann. Die Antwort ist dann ein fruchtbares Bedenken der Frage selbst. Und so ist die Frage durch die Betrachtung selber wichtiger geworden und löst sich im Erkennen ihrer oft unbewußten Voraussetzung zuweilen völlig auf. Und manchmal so plötzlich, dass der fragende Ernst in Lachen umschlägt. Das sind großartige Momente, da sich die Befreiung spontan – körperlich zeigt.

Eine Frage muß beantwortet werden, so wie ein Fehler unbedingt zu vermeiden ist,- das lernen wir schon früh in der Schule. Aber für jede Entwicklung, jede Kreativität und neue Erkenntnis sind Fragen und Fehler wie der Keimling einer neuen Möglichkeit.
Der Kopfmensch hat immer die schnelle Antwort parat. Er vermeidet die Verunsicherung, die durch und in der Frage auftritt. Der Bedachtsame dagegen schätzt die gute Frage als die besondere Möglichkeit, durch die sich eine neue Hinsicht auftuen kann. Manchmal braucht es Zeit – Zeit des Bedenkens, Zeit der Irritation, die besonders wertvoll ist, vor allem aber Muße und Einkehr, in der nicht gedanklich gearbeitet wird, sondern die Frage in die Tiefe absinken kann. Auf diese Weise übergibt man die Bedenken einer unterbewußt – intuitiven Instanz, aus der ein Verstehen auf seltsame Weise aufsteigen kann. Seltsam meint, auf eine Weise, die oft nicht logisch erscheint, wenn z.B. am nächsten Tag der Freund unwillkürlich im Gespräch genau das sagt, was in der eigenen Wahrnehmung verschattet war, oder eine zufällig gelesene Schlagzeile eine Assoziation auslöst oder das klärende Stichwort gibt. C.G. Jung sprach bei dieser Art Erfahrungen von Synchronizität.
Wie soll auch etwas Neues Gestalt annehmen, wenn die (meist schon bekannte) Antwort das Fragwürdige zum Schweigen bringt. Schon gewußte Antworten schlagen – bildhaft gesprochen – Türen zu unbekannten Räumen vorschnell zu.

Aber umgekehrt kann eine wesentliche, offen gehaltene Frage ins Schweigen führen, in die Stille, oder wie es ein mittelalterlicher Mönch ausdrückte: in „die Wolke des Nicht-Wissens“.

Alles Wissen ist Hinsicht, Perspektive aus und in Beziehung und deshalb relativ und niemals das Wahre selbst. Die Frage nach dem Wahren ist nur im Schweigen beantwortet.
Deshalb sprach der Weise Ramanamaharshi sinngemäß: Den fortgeschrittenen Schülern vermittle ich meine Lehre im Schweigen.