Denken und Schweigen

Der Denker von Auguste Rodin

Wem wäre nicht schon einmal aufgefallen, wie sich das Denken in wiederholenden Kreisen bewegt? Und wer hat sich selbst noch nie darin beobachtet allzu häufig, vielleicht in kleineren Variationen, dasselbe zu sagen ? Dies ist übrigens keine Frage von Dummheit, denn auch die Intelligenten und Gebildeten befinden sich meistens auf den immer gleichen Strecken ihrer Denkautobahn. Aber wer hatte in letzter Zeit ein Erlebnis wie: wow, das ist ja ein wirklich neuer und aufregender Gedanke, der mir da kommt!?

Die Frage, die ich hier betrachten will ist, ob und wie es möglich ist aus den gedanklichen Hamsterrädchen und einem bloßen Daherreden auszubrechen. Woher kommen, wie entstehen neue, fruchtbare Gedanken?

Zunächst ist es wichtig, den Zustand von geistiger Frustration bewußt wahrzunehmen. Denn den meisten Menschen fällt erst gar nicht auf, wie sehr sie Gefangene zirkulären und redundanten Denkens und Sprechens sind.

Die Medien sind auf allen Kanälen voll davon, und ob es sich um Nachrichten, Talkshows, Serien oder, noch schlimmer, Social Media handelt, eins ist gewiß: man weiß meist vorher schon, was man auf welchem Kanal von wem zu hören bekommt. Redeschwall wohin man sich wendet, ohne Gehalt, überraschungsfrei und repetitiv wie ein Ohrwurm. Originelles in Sachen Gedankensuche im öffentlichen Gerede zu finden, ist die Arbeit von Trüffelschweinen. Wer sich hier nicht langweilt und aus Überdruss abwendet, dämmert schließlich in einer Wolke aufgeblasener Plattitüden. Wie auf dem Marktplatz brüllt jeder seine Parole, es herrscht permanent Ausrufung des Alarmzustands um die Aufmerksamkeit des übersättigten Publikums auf sich zu lenken. Angst zu verbreiten, funktioniert hier am besten.

Ist einem erst bewußt aufgefallen, dass in der Gesellschaft, genauso wie im eigenen Kopf, ein unsinniges, leeres Geschnatter vorherrscht, dann beginnt vielleicht ein Spüren von dem, was fehlt. – Besinnung – Stille.

Woher aber kommen Gedanken? Wir sagen zwar üblicherweise, wir machen uns Gedanken. Aber stimmt das überhaupt? Machen nicht vielmehr die Gedanken uns? Indem sie allseits verbreitet werden, unhinterfragt angenommen und aufgenommen als Information über fernliegende Dinge und Geschehnisse, und weil sich außerdem unwillkürlich Gefühle damit verbinden, hat man sie sich unbewußt zu eigen gemacht. Man übernimmt allzu schnell Urteile und Mein-ungen, die überhaupt nicht mein sind. So gesehen kann auffällig werden, wie das Sozium, also das soziale Bewußtsein, sich über die medialen Informationen sychronisiert und den Einzelnen orientiert oder sogar manipuliert. Denn wenn man tiefer fragt, muß man einsehen, dass man in aller Regel von dem, worüber berichtet wird, im Sinne von Erfahrung und Erleben, nicht die geringste Ahnung hat. Wir diskutieren über Sachverhalte, die für die Allermeisten rein theoretischer und abstrakter Natur sind. Aber wir glauben zu wissen, indem wir mit „Fakten“ und Zahlen wedeln. Und das macht dieses Meinen so gefährlich. Denn der Gläubige, der Anhänger der „richtigen“ Überzeugung, läßt sich nicht gern irritieren, da der Glaube Halt, Sicherheit und Zugehörigkeit gibt. Es gibt immer eine verdächtige Nähe zwischen dem streng Gläubigen und dem Fanatiker. Es wird leicht übersehen, dass wir heute nicht von Glauben sondern von wissenschaftlichen Fakten sprechen, wobei beide Formen ein tiefes Nichtwissen verdecken.

Deutlicher gesagt: Nicht ich denke, sondern das Sozium in mir. Auch dies zu sehen, gehört zum erste Schritt. (mehr im Essay zur politischen und gesellschaftlichen Lage)

„Die Gedanken sind frei…“Kaum etwas ist weniger wahr, auch wenn das in der Hymne so überzeugt daher kommt. Die Gedanken- und Überzeugungsformen des Soziums sind das Schmiermittel von Zugehörigkeit und deshalb so unbequem zu hinterfragen.

Aber kommen wir zurück zur Stille und dem, was fehlt. Alles in der Welt basiert auf der Grundlage von Polarität. Alles ist nur durch sein Gegenteil existent, so wie es kein oben ohne unten, kein wahr ohne falsch und kein gut ohne böse gibt. Das Gedenke und Geplapper ist die Aktivität des Verstandes und Schweigen seine Inaktivität. Denken und Schweigen sind unabdingbar voneinander abhängig. Wer inneres Schweigen nie gelernt hat, kommt aus dem automatischen, dem autonomen Dauergedenke nicht heraus. Ein Denken, das zwanghafte Formen angenommen hat, ist ohne seinen Gegenpol, dem Schweigen, gefangen in sich selbst.

Im Schweigen erfrischt sich der Geist. Im inneren Schweigen, wie im Tiefschlaf, kommt die Verstandesaktiviät zur Ruhe und wird so erst empfänglich für Erneuerung. Und damit ist keine neue Information gemeint, die konsumiert wird. Erneuerung im Schweigen meint Öffnung, Weitung und Schauen – ein Betrachten, das nicht ergreifen und fassen will. Wer innerlich nicht still sein kann, ist auch nicht in der Lage zuzuhören. Der moderne Mensch ist so sehr in Aktivität gefangen, dass er es kaum aushält, bloß da zu sitzen.

Stille erneuert, macht auf für größere Zusammenhänge, die man nicht aktiv erdenkt, sondern vielmehr im Sehen eines Ganzen empfängt. Das Aha-Erlebnis, ein Heureka, eine Idee oder Einfall kann nicht gemacht werden. Und je mehr man sich darum bemüht, umso weniger geschieht dieser Zu-fall des Ein-falls, der immer mit einem Gefühl von Beglücktheit verbunden ist. Eine spontan empfangene Idee, die plötzlich Zusammenhänge erhellt, „fällt ein“, wie die Sprache es richtig sagt, nämlich aus einer Sphäre, die wir weder machen noch kontrollieren können. Der enstspannte Geist geht mit diesem Raum in Resonanz und wird so empfänglich für das ungreifbar Übergeordnete (für das es letztlich keine Worte gibt – darum eben Schweigen).

Mozart schrieb, dass er in dieser kreativ-intuitiven Erfahrung ein ganzes Werk mit einem Mal im Ohr hatte. Bei ihm vermutet man das Wirken eines Genies. Aber er war in Wahheit als kindlicher Spinner so entspannt, dass die Einfälle in seiner spielerische Offenheit nicht durch Vor-und Verstellungen behindert waren.

Prinzipiell ist diese Erfahrung für jeden Menschen möglich. Wir können absichtsvoll Gedanken im Gehirn bewegen und kombinieren, man nennt es Nachdenken. Aber wir können Intuition nicht willentlich hervorrufen. Denn Intuition umfaßt ein Ganzes, wogegen Nachdenken nur Einzelmomente verknüpft. Wem das klar ist, der sieht, dass Erkenntnis nicht durch Arbeit im Kopf entsteht. Aus dem Feld des All-Bewußtseins – Platon nannte dies die Welt der Ideen, die neuere Physik spricht vom Quanten- oder Nullpunktfeld, das unbegrenzt und zeitlos ist – filtert der menschliche Verstand Momente heraus, die durch das Gehirn in die begrenzende Sprache und Bilder des Denkens übersetzt werden. Um sich also mit dem „höheren Bewußtsein“ in Verbindung zu setzen, ist es notwendig, die eigene Denkbewegung im Stillsein zu beruhigen. Wie bei einem Magnetband, auf dem schon viele Ereignisse aufgezeichnet sind, kann ein Neues ohne Löschung den vorhandenen Lärm nur vermehren. Die Schwingungen des geistigen Feldes sind dann zu sehr durch die chronische Denkaktivität überlagert, sie werden nicht „gehört“. Es wäre demach wie ein Magnetband, das durch Schweigen zuerst gelöscht wird, um dann störungsfrei neue Impulse aufnehmen zu können.

Stop ist das Signal zum Schweigen. Was passiert bei klarer Beobachtung, wenn der Kopf für den Moment still wird? Alle Sinneseindrücke rücken sprunghaft in den Vordergrund des Gewahrseins. So ist dies ein Sprung ins Hier, in die Präsenz des Jetzt. Heidegger sprach vom Sprung ins Ungewisse. Das Jetzt ist so gesehen das eigentlich Unbekannte…

Handeln und Sprechen, aus der Leere, spontan und frei, ist freudig, überraschend, sowohl für den Angesprochenen als auch für den Sprechenden selbst. Ist das Denken von seiner Redundanz befreit, ist das Geschehen wie eine Improvisation, – neu, einmalig und intensiv. Man beginnt, die Gegenwart in ihrer Bewegung als zeitloses Wunder zu entdecken. Denn nach meiner Einsicht ist die Schöpfung vor allem eine Improvisation. Nichts wäre langweiliger als eine bis ins Subatomare hinein geplante Schöpfung. Das Göttliche, die kosmische Intelligenz, ist lebendig und daher überraschend und unberechenbar. Wäre es anders, wäre Gott tatsächlich tot.

Nur dies – ein anderes Signal – und dann der Stille lauschen… „Just watch“, wie Alan Watts all dies zusammenfasst.